Berichte
 

Sa volta del sol IV

 


Herbstliche Sonnentour von Ballermann bis Cala Rajada
Mit dem Seekajak an Süd- und Ostküste Mallorcas

 

Am Punta de Cala Gat verlassen wir die schützende Bucht und treffen jetzt auf den ungebremsten NNO-Wind. Schlagartig nimmt die Wellenhöhe zu und die Grunddünung hebt und senkt unser Boote im regelmäßigen Rhythmus. Zusätzlich schaukeln uns die  Rückschlagwellen der Steilküste hin und her. Oben thront der Leuchtturm des Cap de Capdepera und ich kann einige Ausflügler erkennen, die uns beobachten. Ob sie bemerken, wie wir immer stärker "Aufzug fahren"? 
Während wir den langen Sandstrand Cala Agulla weit draussen queren, lässt zwar das Kabbelwasser nach, doch die Windböen und die Wellenhöhe nimmt zu. Da ich etwas hintendran bin, kann ich die anderen Boote plötzlich nicht mehr sehen: abgetaucht im Wellental. Ups, das ist doch mehr als 1,5 Meter und: der folgende Wellenberg sieht noch höher aus. Ich versuche aufzuschließen und beginne abzuschätzen, ob die Differenz zwischen Wellental und Wellenberg wohl größer ist als ich selber und erschrecke. Ein Blick zu meinen Mitpaddlern zeigt, dass auch sie gebannt auf die kommenden Wellen schauen. Kurz werden diese etwas flacher, bevor sich erneut 3 dicke Wasserberge in kürzeren Abständen auf uns zu bewegen. Die Boote werden jetzt steiler aufgestellt und dann in die Höhe katapultiert. Ich blicke runter in ein tiefes Tal und kurz darauf ziemlich schräg nach oben, wo bereits Schaumkronen tanzen. Langsam wird mir wirklich mulmig. Wir sind jetzt am Punta de na Foguera und mir schwant, dass dies mit "Punkt ohne Wiederkehr" zu übersetzen ist. Sollte die Wellenhöhe hin zum Cap des Freu weiter zunehmen, was man durchaus befürchten muss, weiß ich nicht, wie wir den Richtungswechsel nach Südwest verkraften wollen. Dann bekommen wir diese Kaventsmänner auf die Breitseite und das ist äußerst schlecht. Und anschließend mit vollem Rückenwind anzulanden, kann bei diesem Wasserdruck ziemlich heftig werden. Und wenn das jetzt schon so zugeht, wie wird sich das Morgen erst entwickeln? Kommen wir dann- falls wir irgendwo unfallfrei anlanden können – überhaupt wieder weg? Auf den nächsten 40 km ist eine Strandzufahrt kaum mehr möglich. Was tun, wenn der Wind mehrere Tage anhält?

Point of (no) return
Wir beschliessen, umzudrehen und zum Platja de ses Convasses zu paddeln. Dieser Strand sieht kleiner und weniger bevölkert aus und bietet vielleicht eine Biwakmöglichkeit.
Doch zunächst heißt es schnell zu wenden, was mit den schweren Booten ohne Steueranlage nicht einfach ist. Mit etwas Schlingern gelingt das Manöver. Doch jetzt kommen die dicken Wellen von hinten und stellen unser Kajaks gefährlich steil auf. Zwei Kilometer vom Strand entfernt mit vollem Boot surfen zu müssen, wäre nicht mehr spaßig. Ich stütze sicherheitshalber, aber die Welle bricht nicht. Jetzt bloß die Nerven behalten und das Boot gerade stellen. Welle für Welle paddeln wir Richtung Land. Langsam können wir zwei kleinere Buchten unterscheiden, die durch Felsen getrennt sind. Rechts davon sieht alles steinig aus. Die Gischt spritzt dort mit jeder ankommenden Welle meterhoch hinaus. Also eher links halten. Schnell nähern wir uns dem Ufer, wo sich die Wellen brechen und  das Donnern der Brandung  ohrenbetäubend anschwillt. Wer traut sich voraus zu fahren? Wir paddeln rückwärts und beobachten, wie Hans sich so vorsichtig wie möglich vortastet. Gegen die Sonne und bei dem ständigen Auf und Ab sehen wir, dass er es ganz links probiert und jetzt in den Brandungsbereich einfährt – Wellental – plötzlich schiesst sein Boot pfeilschnell nach rechts – Wellental – er paddelt wie wild Richtung Ufer des rechten Strandes – Wellental – steigt aus und wird von einer Brandungswelle erfasst, das Boot dreht quer – Wellental – er steht im Wasser und zerrt das gelbe Kajak auf den Strand – Uff, jetzt Anni, deren Ziel nun gelb markiert ist. Sie kommt relativ gerade vorwärts – Wellental – Hans und zwei nackte Personen laufen eilig nach rechts. Das Boot liegt quer vor einer Welle, Anni versucht auszusteigen – Wellental – Anni steht, drei Menschen ziehen ihr Boot ans Ufer. Ich hole tief Luft, lasse noch zwei hohe Brecher passieren und gebe dann Gas. Während ich auf einer kleineren Brandungswelle flott Richtung Strand surfe, läuft rechts eine Frau ins Wasser. Da erwischt mich eine größere Welle und ich stütze mit aller Kraft links, um nicht quer zu kommen. Aber das schwere Boot ist kaum zu halten und ich schieße wie ein Torpedo nach rechts auf die Badende zu, die sich ahnungslos gegen die Brecher wirft. Zwei Meter vor der Badenden lässt der Wasserdruck nach und ich kann mein Kajak ausrichten und an den Nacktbadestrand von Cala Rajada paddeln, wo mich hilfreiche Hände sofort rausziehen.
Mit dem Vesper sinkt der Adrenalinspiegel. Eine kleine Wanderung auf den 271 Meter hohen Talaia de son Jaumell beschert uns eine herrliche Aussicht über das westlich liegende Arenal de sa Mesquida, wo sich riesige Sanddünen bis ins Hinterland hineinziehen. Vor einigen Jahrhunderten galt das Gebiet als geheimer Landeplatz für Piraten, weshalb wir auf dem Gipfel die Ruine des ehemaligen Wachturmes finden. Das türkisfarbene Wasser an der Platja de sa Mesquida wird kontrastiert vom strahlenden Weiß der Wellengischt. Die weitere Küste liegt im Dunst.
Das Meer am naheliegenden Cap aber sieht von hier aus dunkelblau und ruhig aus, es weht hier oben nur ein schwacher Wind. Unglaublich, dass da unten meterhohe Wellen rollen und eine starke Brandung zur Bedrohung für unsere kleinen Kajaks geworden ist. 
Ein Anruf bei unserem Kajakverleiher bestätigt unsere Befürchtung: bis Sonntag soll das Wetter so stürmisch bleiben. Wir beschliessen, die Kajaktour abzubrechen und noch zwei Tage an der Westküste wandern zu gehen.
Einerseits sind wir traurig, die Paddeltour abzubrechen. Andererseits sind wir froh, diesem tosenden Hexenkessel entronnen zu sein. Bei weiter auffrischendem Wind hätte es gefährlich werden können. So haben uns Wind und Wellen erneut unsere Grenzen aufgezeigt und unseren mitunter überbordenden Übermut gebremst. Eine lehrreiche Expedition, die manches Vorurteil über Mallorca bestätigt, uns aber auch schöne Seiten dieser Urlaubsinsel gezeigt hat.

Frank Raumel
Fotos: