Berichte
 

When the nights are shining like the days Teil 3

 

Ein Mittsommernachts-Paddel-Abenteuer im Land der 1000 Seen. Teil 3

5. Tag: Spuren der Urmenschen
Nach dem Frühstück ziehen Wolken auf: die Luft ist weiterhin feucht. Der Wind frischt auf. Wir fahren auf einem mittelbreiten Seearm nach Südost – mit Rückenwind. Am kargschönen Berg „Ukonvuori“ versuchen wir die Felszeichnungen, die 3000 v.Chr. an den senkrechten Felswänden angebracht worden waren, zu erkennen. Die Kennzeichnung aus dem Jahre 1978 ist leider stark verblasst, so dass wir nur eine Menschenfigur identifizieren können. Eine kleine Wanderung auf den Gipfel des Berges gibt nach Süden einige schöne Blicke auf das Seengebiet frei.
Jetzt werden die Seen zu Kanälen und die Navigation immer schwieriger. Anhaltspunkte geben die Rastplätze, die hier im Süden des Parks recht häufig sind. Ein riesiger Biberbau setzt uns in Erstaunen: welch gewaltige Mengen an Ästen und Bäumen hier angesammelt und welch tiefe Fluchtgräben hier von unserem Wappentier gebaut worden sind!
Unsere „große Kolovesi-Route“ schwenkt jetzt nach Nordwest und voll gegen den Wind. Der Rastplatz Syväniemi liegt deshalb gut durchlüftet auf einer Insel im See. Sie bietet Platz für 2 Gruppen mit maximal 10 Zelten. Der Wind hält alle Stecher von uns fern, sorgt aber auch dafür, dass wir unsere Jacken und Mützen herausziehen und uns früh in die Waagrechte begeben. 

6. Tag: Sonne pur und magische Stille
Ein wunderbarer Tag. Der Wind ist schwächer geworden, der Himmel ist blauer als blau und die Mücken schlafen noch. Vor dem Frühstück wird gebadet, die Boote können bequem am Landesteg bepackt werden.
Wir paddeln Nordwest auf eine 2 Meter breite Engstelle zu, die Dank der Arbeit der Nationalpark-Ranger noch nicht von den Bibern zugebaut worden ist. Wir verlassen den wunderbaren Kolovesi Nationalpark und schwenken auf schmalen Seestücken nach Süden. Hier wird es flach und schilfig, Steine im Fahrwasser und Kurven erfordern die ganze Konzentration. Erstmals stehen wieder Sommerhäuschen. Zu Beginn des „Ruunavesi“ gönnen wir uns eine Bade- und Vesperpause. An dessen breitester Stelle biegen wir nach NW und an der Strassenbrücke erfahren wir von einem freundlichen Finnen, dass in 20 Minuten der Rollende Kaufladen hier halten wird. Die Rettung! Wir hatten schon begonnen, unsere Lebensmittel und die Energievorräte zu rationieren, jetzt kann aufgefüllt werden. Der Bus bietet von der Tiefkühlkost bis zur Mausefalle alles, was man im Möki zum Überleben braucht und auch für Paddlers Grillabend ist vorgesorgt.
Eis-gestärkt geht es der Sonne entgegen. Wir queren den „Pyttyvesi“ und biegen nach Süden ab. 12 km vor Oravi finden wir ein unbesetztes Eiland mit kleiner Feuerstelle. Bis 22 Uhr scheint uns die Sonne ins Gesicht, bevor sie hinter Wald abtaucht und die Inselwelt zunächst in ein kräftiges Orange, dann in sanfte Pastelltöne taucht. Silbern schimmert das Wasser und das Holz am Lagerfeuer knackt behaglich. Ansonsten eine unglaubliche, magische Stille, denn selbst der Wind hat sich schlafen gelegt!

 

7. Tag  Schwitzend zum Nationalpark Linannsaari
Die Zelte auf dem Hügel stehen im Schatten, wer nahe am Wasser aufgebaut hat, schwitzt bereits seit 5 Uhr. Also aufstehen, ab ins kühle Nass und eine kleine Runde um die Nordspitze der Insel geschwommen: so sollte jeder Tag beginnen! Nach dem Müsli geht es südwärts nach Oravi. Wir lassen Insel um Insel an uns vorüberziehen und der „Karten-Navigator“ hat Mühe, die Eilande rechts und links mitzuzählen, um den Überblick nicht zu verlieren. Da hat es der „GPS-Navigator“ leichter: sein Gerät zeigt ständig Position und eingegebenes Ziel an.
Eine lange Badepause ist heute unerlässlich: die Sonne brennt erbarmungslos und wir erreichen 25 Grad im Schatten. Kurz vor Oravi schwenken wir auf die Wasserstrasse ein und es wird schnell deutlich, dass wir nicht so einsam sind wie wir uns gefühlt haben: Motorboote jeder Größe und Art schießen an uns vorbei und lassen unsere Kajaks heftig in ihren Wellen reiten. Sie sind ebenfalls auf dem Weg in den zentralen kleinen Ort, der auf engstem Raum eine Bootstankstelle, einen Supermarkt, ein Restaurant, Spielplätze und einen Outdoorausstatter bietet. Auch wir füllen nach Khavi, Pullar und Eis unsere Essensvorräte auf.
Durch einen schmalen Durchgang gelangen wir nach Süden in den weiten See „Haukivesi“. Hier werden die Strecken zwischen den Inseln länger, erstmals tauchen auch Segelboote auf. Im Zentrum des Sees liegt der 1956 gegründete 40 km lange und bis zu 10 km breite Nationalpark Linnansaari. Zwei Paddelstunden von Oravi entfernt erreichen wir an der Nordspitze der gleichnamigen Hauptinsel unser heutiges Etappenziel, den Rastplatz „Linna“. Er liegt wunderschön im Kiefernwald und ist mit zwei Feuerstellen, einem Holzlager und einem Hussi ausgestattet. Zwei kleine Yachten haben angelegt und verbringen hier ebenfalls die Nacht. Nach dem Abendessen wandern wir zum Aussichtspunkt „Linnavuori“ und genießen den Sonnenuntergang bei herrlicher – und mückenfreier! - Rundsicht auf die großartige Inselwelt.

8. Tag: Karibikfeeling
Nach einstündigen Film- und Fotoaufnahmen paddeln wir 6 Kilometer südwärts zum betreuten Übernachtungsplatz der Insel Linnansaari. Hier ist schon deutlich mehr los. Ein halbes Dutzend Boote hat angelegt und an der Feuerstelle tummeln sich eine Wandergruppe und zwei Familien. Die Ursache ist sicherlich nicht allein der Kiosk, der Eis, Getränke und Andenken anbietet, sondern der alte Hof, der besichtigt und die naturgeschützte Insel, die erwandert werden kann. Ab 1850 hat die Familie Oskari unter harten Bedingungen dieses Eiland bewirtschaftet. Folge des Schwendbaus (Befreien von potentiellem Ackerland ohne das Wurzelwerk zu entfernen)  ist heute eine große Vielfalt an jungen Bäumen. Als Linansaari zum Nationalpark wurde, hat man sich um den Erhalt des sehenswerten Anwesens bemüht und das „Schwenden“ nach traditionellen Methoden wieder aufgenommen.
Nachmittags geht es über weite Seenflächen. Zunächst bis zum schönen mückenfreien Rastplatz „Iso-Tuunas“, wo wir uns zwei Badegänge, viel Sonne und ein Vesper gönnen. Dass wir uns Savonlinna nähern wird jetzt spürbar: ein großer Frachter kreuzt unseren Weg, aus der Ferne sehen wir Segler und Yachten, die die tiefere Wasserstrasse befahren.
Wir haben Wind von schräg vorne und müssen ordentlich reinlangen. Von hinten brennt die Sonne, von vorne kühlt jetzt die aufspritzende Gischt.
Den Lagerplatz auf „Hietasaari“ mit Kiefern und Sandstrand, gut durchlüftet und dadurch mückenfrei, teilen wir mit einem freundlichen, aber wortkargen finnischen Paar, dessen Motorboot vor Anker liegt. Das Toilettenhäuschen Huussi müssen wir mit einer Gans teilen: sie hat es sich im Kompostbehälter zum Brüten gemütlich gemacht und faucht fürchterlich wenn wir „zu Besuch“ kommen: das beschleunigt manches „G’schäft“ ganz erheblich.
Bei Sonnenuntergang schläft der Wind ein, das Meer liegt ruhig und silbern, spiegelt die weichen Farben der Dämmerung und lässt Karibikfeeling aufkommen.

9.Tag: Ins "Bayreuth des Nordens"

Nun sind es noch gut 20 km bis Savonlinna. Aus der Zeitung, die uns unsere Zeltnachbarn hinterlassen haben, erfahren wir, dass ganz Finnland unter der Hitze stöhnt: Wieder soll es 28 Grad warm werden, beim Ablegen haben wir bereits 24 Grad erreicht. Der See liegt spiegelblank, der Wind kühlt kaum noch. Wir bepacken ein letztes Mal die Boote und baden vor dem Einsteigen den ersten Schweiß des Tages vom Körper. 
Nach Süden queren wir weite Wasserflächen, machen lange Badepausen und sind doch unvorbereitet als uns in der Einfahrt von Savonlinna der Zivilisationsschock ereilt: Boote aller Art lärmen und stinken uns voll – es ist Rushhour im wohl beliebtesten Ferienzentrum Finnlands. Nach Tagen der Ruhe begegnen wir erstmals wieder Strassen und Autos, vielen Menschen, die sich überall am Wasser tummeln, Ausflugsschiffen und Angebern, die die Motoren ihrer Wasserscooter "just for fun" dröhnen lassen.

Wir paddeln die sieben Kilometer zum Ort und durch die kleine Innenstadt. Vorbei an der Promenade, unter der Hauptstrasse hindurch und entlang der unvermeidlichen Robbenskulptur und einem Springbrunnen. Ein schmaler Kanal führt um das Zentrum herum zur Strassen- und Eisenbahnbrücke. Und dann kommt die Burg Olavinlinna von Norden, ihrer Schokoladenseite, ins Blickfeld: eine imposante Trutzburg mit drei Türmen. Wir umpaddeln die am besten erhaltene mittelalterliche Burg Finnlands und landen am Museum auf der Halbinsel Riihisaari an. Da die Burg den Zugang in den nächsten See schmälert, wird das Gefälle dazwischen komprimiert und eine deutliche Strömung erzeugt. Entgegenkommende Touristenschiffe fahren hier mit voller Kraft „flussaufwärts“ und schlingern teilweise ganz ordentlich. Beim Umfahren ist deshalb Vorsicht angesagt.

10. Tag: Hier ist’ so heiß und voll – ich will sofort nach Grönland!
Natürlich wollen wir die Festung aus dem Jahre 1475 auch von innen sehen. Sie wurde als Verteidigungsanlage gegen das russische Reich errichtet. Im Schutz der Burg entstand die Ortschaft Savonnlinna, die 1639 die Stadtrechte erhielt. Im 17. und 18. Jahrhundert wurde die Burg oft zum Schauplatz russisch-schwedischer Auseinandersetzungen. Heute ist sie im Sommer Schauplatz international berühmter Opernfestspiele. Abends flanieren hunderte festlich gekleideter Gäste über den langen Steg zur Burg und einem Konzert, das sie bereits vor Jahresfrist buchen mussten.
Die Innenstadt lädt mit dem kleinen Hafen, dem Markt und dem Dom zum Bummeln ein. In den Holzhäusern, die Anfang des vorletzten Jahrhunderts entstanden sind, stößt man auf viele kleine Läden und gemütliche Cafes. Deren Erfrischungen sind dringend notwendig: es herrscht jetzt völlige Windstille und die Luft ist drückend-schwül.
Die vielen Menschen in der Stadt und auf dem Campingplatz, der Lärm und die Hitze: Finnland war schön, aber für den nächsten Paddelurlaub muss es mindestens Grönland sein, bevor auch dort der Klimawandel zuschlägt.