Berichte
 

When the nights are shining like the days

 

Ein Mittsommernachts-Paddel-Abenteuer im Land der 1000 Seen

Du liegst im Zelt und weißt, du solltest längst schlafen. Morgen wartet wieder eine anstrengende Paddeletappe auf dich und es ist bereits lange nach Mitternacht. Obwohl du das Überzelt beim Aufbau weggelassen hast, ist es immer noch warm und der Schlafsack dient dir nur als leichte Decke.

Doch deine Augen wollen dieses fantastische Panorama einfach nicht loslassen: am Sandstrand liegt dein Kajak vor endloser, mit silbernen Fäden durchzogener Wasserfläche, darüber spannt sich ein weiter, absolut stiller Himmel in sanften Pastelltönen. Und das Verrückte daran: du bist nicht in der Karibik - du bist im nordöstlichsten Winkel Europas, in Finnland!

zelt

Den Titel „Land der 1000 Seen“ verdankt Finnland hauptsächlich dem Saimaa-Seengebiet, wobei die Zahl 1000 eine maßlose Untertreibung ist. Tatsächlich sollen es 187.888 sein, die jeweils mehr als 500 Quadratmeter groß sind.

Der Saimaa-See ist mit 4380 qkm der größte Binnensee Finnlands und der 4. größte See Europas. Seen, Landzungen und die vielen Inseln weisen eine durchgängige Formung und Ausrichtung von Südwest nach Nordost auf, Reminiszenz an die Eiszeit. In diese Richtung hat das weichende Eis die Landschaft „gekämmt“. Die anschließende Landhebung hat eine Bucht von der Ostsee abgetrennt und dabei einige Robben „überrascht“. Diese mussten sich nun vom Salzwasser auf trübes Süßwasser und höhere Temperaturen umstellen, um überleben zu können. Rund 250 Tiere soll diese einzigartige Population noch umfassen. Zu Gesicht bekommt man die scheuen Tiere allerdings nur auf Postkarten, T-Shirts , Kaffeebechern und anderen Andenken für Touristen.

Das finnische Seenlabyrinth bietet dem Paddler eine verhältnismäßig intakte Natur, ein bisschen Wildnis bei insgesamt guter Infrastruktur, kleine beschauliche Städtchen und zahlreiche kulturelle Sehenswürdigkeiten. Aber vor allem: Paddelmöglichkeiten ohne Ende!

50 Stunden haben wir gebraucht, um aus dem wilden Süden Deutschlands nach Ostfinnland zu gelangen. Auf dem Campinplatz Ritoniemi an der Spitze einer Landzunge, die aus Südosten in den See Kallavesi ragt, schlagen wir unsere Zelte auf. Der einfache Platz begeistert mit einem kilometerlangen Sandstrand. In der Ferne ist der Wintersportort Kuopio zu erkennen.

Es ist wechselhaft, der Wind kühl, so dass wir gleich am ersten Abend zu wärmendem Jagertee greifen. Aber die Wolken lichten sich und geben den Blick auf die Sonne frei. Bevor diese kurz vor Mitternacht hinter den Horizont rutscht, geht es zum Warmpaddeln aufs Wasser. Im weichen Abendlicht gleiten unsere Kajaks sanft durch die flachen Wellen. Glänzend weiß heben sich Schilfgräser gegen das tiefblaue Wasser ab. Zusammen mit der kleinen Insel am Rande der Bucht sieht das aus wie in meinen Träumen von Freiheit und Abenteuer...

Aber an Träumen ist nicht zu denken. Langsam verfärbt sich der Himmel vom satten Abendrot in eine sanfte pastellfarbige Dämmerung, die bis 3.30 Uhr anhalten wird, ehe die ersten Sonnenstrahlen wieder über den Horizont reichen. Es wird Tage dauern, bis mein Körper bereit ist, auch bei Licht schlafen zu gehen.

1. Tag: Sonne, Ausrüstungsberge und Rückenwind

Es ist jedes Mal dasselbe: Zuerst türmen sich Berge an Ausrüstung und Essen neben den Booten, man beginnt die grundsätzlichen Dinge wie Zelt, Schlafsack, Isomatte zu verstauen, stopft die Lebensmittel rein, entdeckt dann Dinge, die auch noch wichtig wären – „wer hat noch Platz für den Spaten und das Klopapier?“ – zieht alles wieder raus und fängt von vorne an. Die Fragen nach Notwendigkeit oder Luxus werden gestellt (wie kalt wird es eigentlich nachts?) und am gefährlichsten sind warme, sonnige Ladesituationen. Aber am Ende ist der ganze Krempel in wasserdichte Säcke gepackt, die Säcke in die Bootsluken gedrückt, sämtliche Hohlräume mit Lebensmitteln gefüllt, der ganze (hoffentlich) überflüssige Rest im Auto verstaut, um im letzten Moment doch noch das eine oder andere wieder rauszunehmen und auf Deck zu befestigen. Dann werden die schweren Seekajaks ins Wasser geschoben und es kann losgehen. Und wie!

Denn während der Packerei hat der Wind aufgefrischt und wir müssen ordentlich löffeln. Nachdem wir eine halbe Stunde gegen Wind und Wellen gekämpft haben, schwenken wir nach Südosten ein und: yuppidu, wir haben Rückenwind! Unsere Laune bessert sich (paddel-) schlagartig.

Im kleinen Hafen von Vehmersalmi gönnen wir uns eine Pause mit „khavi“ und „munki“, dem finnischen Spritzgebäck in Form von Berlinern oder Donuts.

Zunächst liegt der See Suvasvesi recht schmal und wir durchkreuzen ein enges Inselgeflecht. Die Orientierung wird schwieriger: Was ist Insel, was ist Festland, was gehört zusammen und welche Teile sind eigenständig? Sind wir schon an der Insel Jänissalo vorbei oder befinden wir uns weiter westlich? Das neue GPS-Gerät ist mit seinen vielen Funktionen anfangs noch keine wirkliche Hilfe. Eindeutiger sind da die Schifffahrtszeichen: weiße Dreiecke, kleine Leuchtfeuer, grüne und rote Bojen. Zum Glück gibt es wenig „traffic“, so dass wir unsere tief im Wasser liegenden Seekajaks nur selten auf die zusätzlichen Wellen der Ausflugsschiffe oder Sportboote ausrichten müssen.

Insel

Nachdem wir die folgende große freie Fläche des Suvavesi gequert haben, beginnt die Suche nach einem Übernachtungsplatz. Die schmale Einfahrt bei Kattialahti sieht vielversprechend aus, doch der Suchtrupp meldet einen bösen Nachteil: die möglichen Plätze für die Zelte sind windgeschützt und das bedeutet: Mücken!

Aber bereits beim nächsten Versuch haben wir mehr Glück. Auf einer vorgelagerten Insel gibt es gut belüftete Plätze für freistehende Zelte. Statt Heringen sichern Spannleinen und Steine die Unterkunft solange die Bewohner mit Baden und Essen beschäftigt sind. Wir haben die Wahl zwischen der roten und der grünen Serie. Nichts für Gourmets: Bild und Name der Tüten wechseln, der Geschmack aber bleibt gleich. Doch die Tütengerichte brauchen wenig Platz, Wasser gibt es genug, die Garzeit hält sich in Grenzen und: ausgehungerte Paddler essen (fast) alles.

Nach dem Essen heißt es planen und messen. Wir können zufrieden sein: In 6 Paddel- Stunden haben wir fast 33 km geschafft, das sind 5,5 km im Schnitt, wobei der Rückenwind einen Vorschub von 1,5 km beigesteuert hat.